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Oliver Koch vor zwei Windkraftanlagen.
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© RPTU, Hans-Georg Merkel
Klimaschutz im Kugellager
Sie stehen nicht im Rampenlicht, halten aber die Welt in Bewegung: Lager sind technische Bauteile, ohne die kein Auto fahren und sich kein Windrad drehen würde. Sie sind millionenfach verbaut. Deshalb steckt in ihnen großes Klimaschutzpotenzial. Forschende zeigen, wie weniger Reibung in Lagern den CO₂-Ausstoß senken könnte.
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Getriebegehäuseabdeckung eines Automobilgetriebes mit Zahnrädern und Lagern
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© IMAGO / Depositphotos
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Kugellager auf einer technischen Zeichnung
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© Colourbox, alexlmx

Verborgener Hebel für wirksamen Klimaschutz

Fast ein Viertel der weltweit erzeugten Energie verpufft durch Reibung und Verschleiß – in Getrieben, Bremsen, Antriebswellen und vielen anderen technischen Teilen. Oliver Koch arbeitet daran, solche „stillen“ Energiefresser effizienter zu machen. Besonders Wälzlager hat der Leiter des Lehrstuhls für Maschinenelemente, Getriebe und Tribologie (MEGT) an der RPTU im Blick. Diese Bauteile findet man fast überall, wo Technik sich bewegt. Sie stecken auf der ganzen Welt in jedem Motor, Windrad und in jeder Förderanlage. Diese schiere Masse bietet einen mächtigen Hebel, um CO₂-Emissionen zu reduzieren – und das, obwohl moderne Lager bereits sehr hohe Wirkungsgrade haben. Denn schon eine um wenige Zehntel geringere Reibung pro Lager kann durch den millionenfachen Einsatz eines Produkts weltweit viele Tonnen CO₂ einsparen.

Bewegung führt zu Reibung. Und durch Reibung geht Energie verloren – und zwar in einer gewaltigen Größenordnung, wie Oliver Koch vorrechnet: „23 Prozent der weltweit erzeugten Energie gehen alleine durch Verschleiß und Reibung in technischen Teilen verloren.1 Reibung verursacht 20 Prozent dieser Verluste, Verschleiß drei Prozent. Theoretisch könnten wir fast ein Viertel der Kraftwerke abschalten, wenn wir keine Reibung und keinen Verschleiß hätten.“

Kochs Forschungsteam betrachtet Reibung und Verschleiß unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit. Enormes Potenzial sehen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler besonders in sogenannten Wälzlagern. Diese Bauteile übertragen Bewegung durch Kugeln oder Rollen und sorgen dafür, dass sich Wellen, Achsen oder Schwenkarme kontrolliert drehen oder bewegen.

„Es dreht sich verdammt viel auf der Welt“

Zwar sind moderne Wälzlager mit Wirkungsgraden von 99,9 Prozent bereits hocheffizient. Aber die verbleibenden 0,1 Prozent Reibungsverlust summieren sich global gesehen zu einer Größenordnung, die relevant ist. „Es dreht sich eben verdammt viel auf unserer Welt“, bringt es Koch auf den Punkt.

Allein die Reibungsverluste der Wälzlager, die weltweit jedes Jahr neu installiert werden, verursachen rund 420 Terawattstunden Energieverbrauch pro Jahr.2 Lege man den deutschen Strommix zugrunde, ergebe das einen globalen CO2-Fußabdruck in Höhe von etwa 182 Millionen Tonnen CO₂-Ausstoß pro Jahr. Das sind 0,5 Prozent der globalen CO₂-Emissionen und mehr, als der gesamte Verkehr in Deutschland emittiert.  „Hier liegt ein unterschätzter Hebel für den Klimaschutz: Wenn ich die Verluste bei weltweit eingesetzten Lagern um zehn Prozent reduziere, spare ich 0,05 Prozent des globalen CO₂-Haushalts ein. Und dabei ist noch nicht berücksichtigt, dass die durchschnittliche Gebrauchsdauer eines Wälzlagers mehrere Jahre beträgt.“

Ziel der Forschung sind bessere Wirkungsgrade

Koch findet, dass die Diskussion in Deutschland das Effizienzpotenzial solcher Bauteile unterschätzt. „Ein Tempolimit würde rund sieben Millionen, ein Inlandsflugverbot etwa zwei Millionen Tonnen CO₂ vermeiden“, sagt er – also deutlich weniger, als durch effizientere Maschinenelemente möglich wäre.

Seine Forschung zielt darauf ab, Wirkungsgrade zu verbessern, sprich: Komponenten im Detail so zu optimieren, dass möglichst wenig der eingesetzten Energie ungenutzt verloren geht. „Wir reden dabei nicht über eine Haushaltsbohrmaschine, die zehn Minuten im Jahr genutzt wird, sondern über Anlagen mit langen Laufzeiten. Denn hier entsteht während der Nutzung zehn- bis hundertmal so viel CO₂, wie bei der Herstellung“, erklärt Koch.

Simulationen zeigen kleinste Veränderungen

Weil die verbliebenen Stellschrauben bei bereits effizienten Teilen sehr fein sind, suchen die Forschenden mit hochpräzisen Simulationsmodellen nach Verbesserungsmöglichkeiten. Früher sei man im Maschinenbau oft nach dem Prinzip „Trial and Error“ vorgegangen, erklärt Koch: „Man hat Dinge gebaut, getestet und geschaut, ob sie länger halten oder effizienter laufen.“ Heute bilden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler technische Systeme digital ab, um Prozesse auf Kontaktebene zu verstehen, also dort, wo Metall auf Metall trifft  – nur getrennt durch einen sehr dünnen Schmierfilm - und Reibung entsteht.

Diese Simulationen zeigen, wie sich kleinste Veränderungen in Material, Schmierung oder Geometrie auf Energieverluste auswirken. „Wir müssen die einzelnen Komponenten betrachten und genau verstehen, was zwischen den Kontaktflächen passiert. Nur so können wir in den nächsten Schritten die Reibung reduzieren und Wirkungsgrade verbessern“, sagt Koch.

Weniger Reibung oft doppelt wirksam

Die Forschenden betrachten technische Systeme dabei in ihrer ganzen Komplexität. Denn wenn es gelingt, ein Lager effizienter zu machen, wirkt sich dies häufig auch an anderer Stelle aus, im Idealfall positiv. Koch erklärt dies am Beispiel eines Radlagers in einem E-Auto. „Bei der Batterie entsteht der CO₂-Fußabdruck vor allem durch die aufwendige Herstellung. Beim Radlager hingegen entsteht der CO₂-Fußabdruck überwiegend in der Nutzung. Wenn man die Verlustleistung eines Radlagers um nur ein Watt reduziert, spart man nicht nur CO₂ während der Nutzung. Es kann auch die Batterie kleiner ausgelegt werden, weil weniger Energie für die gleiche Reichweite nötig ist. Dadurch spare ich sowohl bei der Batterieherstellung als auch an Ladeverlusten.“

„Automatischer“ Klimaschutz

Den Charme solcher technischen Verbesserungen sieht er nicht zuletzt darin, dass diese quasi automatisch wirken, wenn sie einmal umgesetzt sind. „Das sind skalierbare Lösungen, die unabhängig vom einzelnen Nutzer funktionieren“, erklärt Koch. „Wenn Hersteller ihre Produkte reibungsärmer auslegen, ist das in jedem neuen Gerät schon eingebaut. Das ist Klimaschutz, bei dem niemand bewusst auf etwas verzichten muss. Das spart Energie von selbst.“

Doch es gibt einen Haken: Für die globale Energiebilanz sind selbst minimale Verbesserungen relevant, für den einzelnen Hersteller sind diese dagegen oft kaum messbar. „Letztlich hängt alles an der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung“, sagt Koch. „Die Lösungen, die wir entwickeln, entstehen in enger Zusammenarbeit mit der Industrie und sind auf den Praxiseinsatz ausgelegt. Zum Beispiel haben wir ein Reibungsmodell im Rahmen der Forschungsvereinigung Antriebstechnik entwickelt, mit dem Ingenieurinnen und Ingenieure Systeme berechnen und optimieren können. Entscheidend ist dabei immer auch, dass solche Entwicklungen mehr oder weniger kostenneutral bleiben, damit sie den Sprung in die breite Anwendung schaffen. Nur dort können sie ihre Klimaschutzwirkung entfalten.“


1 Holmberg, K. and Erdemir, A. (2017), “Influence of Tribology on Global Energy Consumption, Costs and Emissions,” Friction, 5(3), pp 263–284.

2 Vgl. Bakolas, V., Rödel, P., Pausch, M.: „Abschätzung der weltweiten Energiebilanz von Wälzlagern “, Tribologie + Schmierungstechnik 69 4, 41-47, 2022. DOI: 10.24053/TuS-2022-0022

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Oliver Koch ist Professor für Maschinenelemente, Getriebe und Tribologie an der RPTU
Prof. Dr.
Oliver
Koch
Professor für Maschinenelemente, Getriebe und Tribologie
„Das Motto des MEGT ist "Research for Sustainability". Und das ist kein Green-Washing, sondern das ist das, woran ich glaube und was mich treibt.“
Nachdem Oliver Koch seine Promotion an der Ruhr-Universität Bochum abgeschlossen hat, war er 14 Jahre lang in verschiedenen Positionen in der Forschung und Entwicklung bei Schaeffler – einem führenden Wälzlagerhersteller und Automobilzulieferer – tätig, zuletzt als Vice President „R&D Analysis Tools and Methods“. Seit November 2021 ist er Professor an der RPTU Kaiserslautern-Landau und leitet den Lehrstuhl für Maschinenelemente, Getriebe und Tribologie (MEGT).
FORSCHERPROFIL AUF RPTU.DE

WEITERFÜHRENDE LITERATUR:

Bakolas, V., Rödel, P., Koch, O., Pausch, M. (2021). A first approximation of the global
energy consumption of all ball bearings.
Tribology Transactions, 64(5), 883-890.

Wingertszahn, P., Koch, O., Maccioni, L., Concli, F., Sauer, B. (2023). Predicting Friction of Tapered Roller Bearings with Detailed Multi-Body Simulation Models. Lubricants, 11(9), 369. https://doi.org/10.3390/lubricants11090369

20 Minutes With Oliver Koch, June 2024. Webseite der Society of Tribologists and Lubrication Engineers.

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von Christoph Karcher
Christoph Karcher ist freier Journalist und Kommunikator mit einem Faible für Dinge, die einen zweiten Blick verdienen, um das Interessante in ihnen herauszukitzeln. Er hat Politik- und Kulturwissenschaften mit Schwerpunkt Medien studiert und schreibt über Themen aus Forschung und Technologie. Dabei hat er den Ehrgeiz, auch Sperriges zu erklären, ohne es klein zu machen.

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