


Wie negative Gefühle schnell weg sind
Laut der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V. sind in Deutschland jedes Jahr etwa 27 Prozent aller Erwachsenen von einer psychischen Erkrankung betroffen. Das sind immerhin 17,8 Millionen Menschen. Tendenz steigend. Eine Hilfe, die psychische Gesundheit insgesamt zu schützen, ist eine gezielte Kontrolle der Emotionen. Die Idee dahinter: „Wenn wir in der Lage sind, unsere eigenen Gefühle zu beeinflussen, dann können wir darüber erreichen, dass wir negative Emotionen weniger intensiv erleben und sie nicht so lange andauern“, erklärt Professorin Ulrike Basten. In aktuellen Forschungsprojekten beschäftigt sich die Psychologin in Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen der Forschungsinitiative ARPID (Affect Regulation – Processes, Interventions, and development, auf Deutsch: Affektregulation – Prozesse, Interventionen und Entwicklung) mit der Frage, wie Menschen mit ihren Emotionen umgehen, salopp gesagt, wie sie positive und negative Erlebnisse verarbeiten – „und warum manche Menschen das besser hingekommen als andere“.
Ablenkung und Neu-Bewertung als Strategien
Ulrike Basten konkretisiert, es gebe eine Menge kognitiver Strategien zur Emotionsregulation, also Methoden, mit denen sich die Wahrnehmung oder Einordnung von Erlebnissen beeinflussen lässt: „In unserer Forschung schauen wir uns zwei Strategien an. Die Ablenkung und die Neu-Bewertung.“ Für das experimentelle Studien-Design bedeutet dies: Studienteilnehmende bekommen von den Forschenden Bilder auf einem Bildschirm gezeigt, die negative Emotionen hervorrufen. Bilder, die körperliche Verletzungen, Unfälle oder Gewalt-Szenen darstellen. „Bilder, ähnlich wie sie mittlerweile jeder von Zigarettenpackungen kennt.“
Die Teilnehmenden sehen mehrere Bilder hintereinander – und das eine knappe Stunde lang. Dabei werden sie vom Forschungsteam um Basten angeleitet, mit den so erzeugten negativen Emotionen umzugehen: „Bei der Strategie Ablenkung etwa, sollen sie beim Anschauen des Bildes ihre Aufmerksamkeit auf andere, neutrale Gedanken lenken.“ Der Gedanke an eine Alltagstätigkeit wie das Zähneputzen könne dies beispielsweise sein, „oder auch einfach die Vorstellung einer geometrischen Figur wie die eines grünen Kreises“.
Bei der Strategie Neu-Bewertung oder „Neu-Interpretation“ wiederum bekommen die Teilnehmenden die Anweisung, das Bild auf sich wirken zu lassen, „aber das Bild anders zu interpretieren, neu zu bewerten“, und zwar möglichst positiv – oder zumindest weniger negativ: „Wenn man etwa ein Bild von einem Unfall sieht, dann kann man sich für eine positivere Bewertung der Szene vorstellen, dass Hilfe unterwegs ist.“
Parallel dazu messen die Forschenden die Hirnaktivität der Studienteilnehmenden – mittels EEG, der sogenannten Elektroenzephalografie. „Wir untersuchen dabei, wie gut unsere Probandinnen und Probanden es schaffen, mithilfe der Emotionsregulation die Hirnaktivität herunterzubringen, die das Bild bei ihnen auslöst.“ Die Untersuchungsmethode sei non-invasiv, ergänzt Ulrike Basten. Es gibt also keinen Eingriff in den Körper: „Für Personen, die an unseren Studien teilnehmen, ist die Messung nicht sehr belastend. Sie bekommen lediglich eine Stoff-Haube aufgesetzt, in der sich die Elektroden zur Messung befinden.“
„Wenn wir in der Lage sind, unsere eigenen Gefühle zu beeinflussen, dann können wir darüber erreichen, dass wir negative Emotionen weniger intensiv erleben und sie nicht so lange andauern."
Ulrike Basten
Bild für Bild sollen die Probanden außerdem selbst einordnen, wie gut oder schlecht sie sich nach Anwendung der Strategie „Ablenkung“ – und wie gut oder schlecht sie sich nach Anwendung der Strategie „Neu-Bewertung“ gefühlt haben.
Die Versuche führen Ulrike Basten und ihr Team mit hohen Teilnehmendenzahlen durch – bislang bereits mit 300 Personen. Bei der Auswertung haben sich die Forschenden statistisch angeschaut, „wie sehr jeder einzelnen Person die Strategie Ablenkung und die Strategie Neu-Bewertung geholfen haben.“ Dabei haben die Forschenden subjektive Unterschiede feststellen können, die sich mit den EEG-Auswertungen deckten. „Letztendlich wählen Personen genau die Strategien häufiger, die ihnen besser helfen – subjektiv wie neuronal.“ Inwiefern sich ein solches Muster bei der Wahl der Regulationsstrategien positiv auf die psychische Gesundheit auswirkt und damit einen individuellen Resilienzfaktor darstellt, ist Gegenstand der aktuellen Forschung des Teams.
Grundsätzlich ließe sich über die beiden untersuchten Strategien sagen, führt Ulrike Basten zu ihren Beobachtungen und Interpretationen weiter aus, dass „die Ablenkungsstrategie insgesamt supereffektiv ist, aber eben nicht nachhaltig.“ Soll heißen: Bei einer einmalig erlebten negativen Situation ließen sich negative Emotionen auf diese Weise sehr erfolgreich abfedern. Langfristig, also bei einer sich wiederholenden (und nicht anderweitig kontrollierbaren) negativen Situation, sei eine Neu-Bewertung eher die bessere Strategie.
Es kommt auf die Situation an
Was bedeuten diese Erkenntnisse für die psychische Gesundheit? Pauschal ließe sich keine allgemeingültige Empfehlung abgeben, meint Ulrike Basten. Aber: „Es gibt den Spruch, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann. Den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann. Und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“ Das fasse die Forschungserkenntnisse zur Angemessenheit bestimmter Strategien in verschiedenen Situationen sehr gut zusammen.
„Die Neu-Bewertung ist eine wertvolle Strategie, die uns erlaubt, Situationen, die wir nicht ändern können, so zu einzuordnen, dass sie weniger negative Gefühle verursachen.“ Das heiße aber nicht, dass man sich generell darauf verlegen sollte, sich alles „schön zudenken“ und damit belastende Situationen auszuhalten, die man auch ändern könnte. Für regelmäßig wieder auftretende Konfliktsituationen im Alltag zum Beispiel, wie Streit mit dem Partner oder einem Vorgesetzten, könne eine Veränderung der Situation über eine Klärung des Konfliktes zu einer nachhaltigeren Verbesserung führen. „Im Alltag sind solche Entscheidungen natürlich viel komplexer als bei uns im Labor“, räumt Basten ein. „Es müssen kurzfristige und längerfristige Vor- und Nachteile auf vielen Dimensionen abgewogen werden." Das können schwierige Entscheidungen sein, die auch Thema von Psychotherapie sein können.
Wie geht es weiter? Ulrike Basten: „Neben der Regulation von negativen Emotionen interessiert mich besonders, welche Rolle die gezielte Beeinflussung positiver Emotionen für unsere Gesundheit spielt.“ Also wie lassen sich – im Sinne der psychischen Gesundheit – positive Gedanken hervorrufen oder verstärken? Weitere geplante Forschungsfelder: Inwieweit die Persönlichkeit und die Lebenserfahrung bei der Emotionsregulation eine Rolle spielt – und wie sich Erlebnisse aus der Kindheit auswirken. „Wir möchten außerdem untersuchen, wie Kinder mit Emotionen umgehen.“ Denn viele Kids werden heutzutage über das Smartphone mit einer Fülle an Bildern konfrontiert. „Bisher ist nicht gut erforscht, wie sie damit umgehen.“

Du magst gerne das Thema vertiefen? Dann stöbere in den folgenden wissenschaftlichen Artikeln:
Morawetz, C., & Basten, U. (2024). Neural underpinnings of individual differences in emotion regulation: A systematic review. Neuroscience and Biobehavioral Reviews, 162, 105727. DOI: 10.1016/j.neubiorev.2024.105727
>> ZUM ARTIKEL
Rammensee, R. A., Morawetz, C., & Basten, U. (2023). Individual differences in emotion regulation: Personal tendency in strategy selection is related to implementation capacity and well-being. Emotion, 23(8), 2331–2343. DOI: 10.1037/emo0001234
>> ZUM PAPER
Armbruster-Genç, D. J. N., Spilger, E., & Basten, U. (2025). Emotion regulation after childhood maltreatment: Suppression tendency and reappraisal capacity. Child Abuse & Neglect, 166, 107511. DOI: 10.1016/j.chiabu.2025.107511
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