

Rechtzeitig vor Störungen und Gefahren warnen
Eine ganz bestimmte Virus-Mutante unter vielen finden – oder einen Fehler bei Produktionsabläufen in einer Fabrik erkennen: Mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) ist all das möglich. Große Datenmengen müssen dafür aufbereitet, gefiltert, klassifiziert – und wenn denn vorhanden – eine Anomalie aufgedeckt werden: „Es geht darum, Abweichungen von der Normalität zu erkennen“, erklärt Professor Marius Kloft, der am Fachbereich Informatik der RPTU die Arbeitsgruppe Maschinelles Lernen leitet – und der genau jenes Erkennen von Ausreißern und Fehlern zu seinen Forschungsschwerpunkten zählt.
„Anomalieerkennung ist für sehr viele Bereiche relevant“, erklärt Marius Kloft auf die Frage nach dem praktischen Nutzwert dieser Datenverarbeitungsmethode. Sie könne beispielsweise helfen, in chemischen Anlagen frühzeitig einen Fehler in den Abläufen aufzuspüren. Denn: „Jeder Ausfall einer Anlage ist nicht nur teuer, sondern kann im schlimmsten Fall auch Mensch und Umwelt gefährden.“
Marius Kloft nennt als Beispiel ein Chemiewerk im US-amerikanischen Geismar (Louisiana). Dort ereignete sich im Jahr 2013 eine Explosion, bei der ein Mensch ums Leben kam und viele verletzt wurden. Ursache war ein Fehler in einem Wärmeüberträger: „Gerade bei solchen Anlagen können Anomalien im Prozess schlimme Konsequenzen haben.“ Ein Erkennen der Anomalie sorge dann beispielsweise dafür, dass automatisch frühzeitig ein Alarm ausgelöst wird und entsprechende Gegenmaßnahmen eingeleitet werden können.
Selbst komplexe Muster erkennen
Er arbeite daran, erklärt Marius Kloft, Methoden der Anomalieerkennung noch genauer und effektiver zu machen. „Künstliche Intelligenz ist in aller Munde. Dabei sollte man wissen, dass diese Unterbereiche hat. Maschinelles Lernen ist ein solcher Unterbereich. Und davon wiederum ist Deep Learning ein Unterbereich.“
Deep Learning sei eine Form des maschinellen Lernens, die auf tiefen künstlichen neuronalen Netzen basiert. Einige Laien stellen sich dabei ein künstliches Gehirn vor, das lernt, Informationen zu verarbeiten. Doch mit einer solchen Gehirn-Assoziation kann sich Marius Kloft nicht anfreunden: „Neuronale Netze im Deep Learning sind in erster Linie mathematische Funktionen.“ Funktionen, die darauf spezialisiert sind, die Semantik – also den inhaltlichen Kern – der Daten zu erfassen und darzustellen: „Je mehr Knotenpunkte diese Funktionen haben, desto tiefer und verschachtelter werden sie – und umso besser gelingt es, komplexe Muster in den Daten abzubilden“, erklärt Kloft.
Eine Methode, die auf Anomalien spezialisiert ist
Was ist das Besondere an seiner Arbeit?
„Wir haben ein ausgeklügeltes System entwickelt, das Deep Learning speziell für die Anomalieerkennung nutzt. Genau dafür haben wir ein tiefes neuronales Netz gebaut. Das gab es so in dieser Form noch nicht.“
Marius Kloft
Zwar gebe es bereits Erkennungsmethoden für Anomalien, insbesondere in Bildern. Doch diese nutzen vor allem ein generatives Modell, wie Marius Kloft ergänzt. Ein Modell also, das etwa aus vorgegebenen Bildern selbst neue Bilder generiert. Und dabei dann erkennt, vereinfacht ausgedrückt, dass mit einem der vorgegebenen Bilder etwas nicht stimmt. Marius Kloft: „Ein solches System erkennt das andersartige Bild und sagt dann sorry, aber das habe ich bei meinen Trainingsdaten so gar nicht gesehen.“ Solche Systeme allerdings gelten als wenig genau.
Für viele Anwendungsbereiche nutzbar machen
Doch zurück zu der von Marius Kloft entwickelten Methode: Sehr vereinfacht gesagt, sorgt das von ihm und seinem Team entwickelte künstliche neuronale Netz dafür, Ordnung in eine große Menge an Daten zu bringen. Wie läuft das ab? „Man startet mit den Daten in ihrem ursprünglichen Raum – das kann zum Beispiel ein Fotoalbum sein“, erklärt Kloft. „Das neuronale Netz verarbeitet diese Daten und überführt sie in einen sogenannten semantischen Raum.“ In diesem ist klar definiert, welche Daten noch als „normal“ gelten – und welche als Ausreißer eingestuft werden, also als Anomalien. „Beim Beispiel Fotoalbum kann ein solcher Ausreißer beispielsweise ein verwackeltes Bild sein.“ Marius Kloft: „Grundsätzlich kann man sagen, dass das, was oft vorkommt, als normal betrachtet wird. Und das, was außerhalb dieses Bereiches liegt, als Anomalie eingestuft wird.“
Die von ihm und seinem Team entwickelte Methode sei generell, könne adaptiert werden auf sehr viele verschiedene Daten. So können auf Grundlage dieser Methode beispielsweise Tumore in histopathologischen Proben erkannt werden. „Jeder Anwendungsbereich hat seine eigenen Herausforderungen.“ Aktuell und in den kommenden Jahren gehe es deshalb darum, das System an die jeweilige Fragestellung anzupassen.
Deep Learning in der chemischen Industrie
Gemeinsam mit weiteren Informatikern und Verfahrenstechnikern an mehreren Universitäten arbeitet er in der DFG-Forschungsgruppe FOR 5359 daran, die neu entwickelte Deep Learning-Methode für die chemische Industrie nutzbar zu machen: „Sie soll helfen, Fehler in chemischen Prozessen frühzeitig aufzuspüren, um Unfälle und Abschaltungen abzuwenden.“ Das Problem in diesem Anwendungsfeld, wie Marius Kloft ergänzt: „Es gibt hier sehr wenige Daten oder Unternehmen stellen sie nicht zur Verfügung.“ Zudem seien häufig auch alle Daten gleich. Beispielsweise wird in einer optimal eingestellten chemischen Anlage über einen langen Zeitraum hinweg immer derselbe Prozess bei idealerweise denselben Bedingungen gefahren – wie die Umsetzung von Rohstoffen zu Produkten. Sensoren messen dann im Optimalfall immer die nahezu gleiche Temperatur, den gleichen Druck und so weiter. Kurzum: Es sind von Natur aus zu wenige Anomalien vorhanden, aus denen das System lernen könnte, was genau eine Abweichung von der Norm wäre. Dennoch können derartige Fehler auftreten.
Deshalb hat sich das Forscherteam einiges einfallen lassen, um die Datenmenge zu vergrößern: Sie führen im Labor selbst chemische Prozesse durch, erheben so Daten. Zusätzlich werden weitere Daten mit Hilfe generativer Künstlicher Intelligenz künstlich synthetisiert.
Autonomen Betrieb von Anlagen ermöglichen
Ziel der Arbeiten sei es auch, die aufgrund der Methode entstehenden Informationen zu erklären, sie zu visualisieren und sie anschaulich erklärend darzustellen, wie Marius Kloft ergänzt: „Sie müssen schnell und einfach nachvollziehbar sein, damit Fachkräfte in der chemischen Industrie diese Verfahren nutzen und auf entsprechende Empfehlungen der Technik reagieren können.“ Langfristiges Ziel der Forschungsgruppe sei es, Methoden zum autonomen Betrieb von Anlagen in der chemischen Industrie zu entwickeln. Das entscheidende Werkzeug dafür haben sie in der Hand: „Unsere Anomaliedetektoren werden dank Deep Learning viel sensitiver sein als herkömmliche Techniken.“
In einem weiteren Verbundprojekt - namens „Physik-informierte Anomalieerkennung", das gemeinsam mit Wissenschafts- und Wirtschaftspartnern realisiert wird, soll die Aufgabenstellung der Anomalieerkennung auf physikalische Prozesse in der Produktion übertragen werden: Denn beim Laser-Pulverbett-Schmelzen etwa – einem in der Luft- und Raumfahrt, der Automobilindustrie und der Medizintechnik gängigen Verfahren zur Fertigung komplexer Metallbauteile – können bereits kleinste Abweichungen in der Wärmeverteilung Defekte wie Poren, Risse oder fehlende Verschmelzungen auslösen. Auch hier geht es darum, solche seltenen Unregelmäßigkeiten automatisch zu entdecken.

DU MÖCHTEST MEHR ÜBER TIEFE NEURONALE NETZE ERFAHREN?
Weiterführende Informationen bieten die folgenden wissenschaftlichen Publikationen:
L. Ruff, R. Vandermeulen, N. Görnitz, L. Deecke, S. Siddiqui, A. Binder, E. Müller, and M. Kloft. Deep One-Class Classification. Proceedings of the International Conference on Machine Learning (ICML), 80:4393-4402, 2018
>> ZUR VERÖFFENTLICHUNG
M. Hussong, S. Varshneya, P. Rüdiger-Flore, M. Glatt, M. Kloft, and J. C. Aurich. A process planning system using deep artificial neural networks für the prediction of operation sequences. Procedia CIRP, 120:135-140, 2024.
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