

Wie Stereotype Bewerbungsverfahren beeinflussen
Bei etwa einem Drittel aller Anfragen an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes geht es um Diskriminierung im Arbeitsleben. Die Bundesbehörde in Berlin befasst sich dabei insbesondere mit der Benachteiligung von Frauen, weil sie etwa schlechter bezahlt werden als ihre männlichen Kollegen – oder berufliche Erschwernisse aufgrund von Schwangerschaft oder Elternzeit erleben. „Diskriminierendes Verhalten findet statt, wenn Männer als Polizisten gegenüber Frauen bevorzugt eingestellt werden – nur, weil man sie für körperlich stärker hält“, schildert Professorin Melanie Steffens.
Bei Bewerbungsprozessen kommt es immer wieder zu Benachteiligung, weil beispielsweise Menschen mit nicht deutsch klingendem Namen gar nicht erst zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen werden. „Ungleiche Behandlung von Personen wegen einer Gruppenzugehörigkeit bezeichnet man als Diskriminierung“, ordnet es Melanie Steffens ein. Solche Gruppenzugehörigkeiten können neben dem Geschlecht auch die sexuelle Orientierung, das Alter, eine körperliche Behinderung oder ein Migrationshintergrund sein.
Ganz unterschiedlich: Diskriminierung im Alltag
Insgesamt begegnet uns Diskriminierung im Alltag auf ganz unterschiedliche Weise. Manchmal geschehe sie unbewusst, etwa bei der Sozialisation von Kindern, erklärt Claudia Niedlich: „Als Mädchen bekommt man quasi selbstverständlich vermittelt, dass man brav sein soll und rosa Kleidchen bevorzugt. Jungs dagegen tragen Hosen, dürfen frech sein und raufen – so lauten die gängigen Klischees.“ Melanie Steffens ergänzt: „Diskriminierung kann auch harmlos erscheinen. Wenn beispielsweise ein türkischstämmiges Mädchen im Mathematikunterricht für die richtige Beantwortung einer leichten Aufgabe besonders gelobt wird.“ Der Lehrer meine es womöglich gut, doch das Mädchen schließt aus der Anerkennung für eine einfache Leistung, dass ihr wenig zugetraut wird.
Was als Diskriminierung wahrgenommen wird, hat sich im Laufe der Zeit gewandelt, ergänzen die beiden Wissenschaftlerinnen. Noch vor wenigen Jahrzehnten mussten Ehefrauen ihre Ehemänner um Erlaubnis bitten, wenn sie arbeiten wollten. Und Frauen durften keine Busfahrerinnen werden – mit der Begründung, sie müssten zu oft zur Toilette. Heute ist dies unvorstellbar, wurde damals jedoch kaum hinterfragt.
Diskriminierung als Mittel der Macht
Warum diskriminieren wir eigentlich? „Diskriminierung ist für die, die diskriminieren, ein Mittel, ihre Macht zu sichern und ein bestimmtes System, eine Hierarchie aufrechtzuerhalten“, erklärt Melanie Steffens. Die Diskriminierenden fühlen sich mitunter sogar selbst benachteiligt, wenn sie befürchten, jene Macht zu verlieren: „Männer, die eine Frauenquote als Nachteil sehen, vergessen oft, dass sie selbst lange Zeit bei der Karriereplanung ganz selbstverständlich bevorzugt wurden.“ Ein anderes Beispiel sei die Debatte um das Tragen von Kopftüchern in Schulen: Religiöse Symbole von Minderheiten werden oft kritisch hinterfragt, während christliche Kreuze jahrzehntelang kaum zur Diskussion standen.
Stereotype erleichtern Entscheidungen
„Geschlechterrollen geben aber auch Orientierung in einer komplexen Welt“, ordnet es Melanie Steffens weiter ein: „Ein gewisser Weg kann dadurch vorgezeichnet sein.“ Bei der Berufswahl werde vieles vermeintlich einfacher, wenn verschiedene Berufe gar nicht erst in Betracht gezogen werden: „Etwa, wenn Jungs gewisse berufliche Wege, wie Erzieher, für sich von vornherein ausschließen.“
Hat Diskriminierung also auch einen Nutzen? Sie gebe schnelle Orientierung – vor allem wenn Entscheidungen unter Zeitdruck getroffen werden müssen, sagt Melanie Steffens: „In unserer sozialen Welt braucht es neben der gut durchdachten, reflektierten Entscheidung manchmal eben genauso die schnelle Entscheidung.“
Ein Beispiel: Eine Studentin macht sich abends nach einer Feier allein auf den Heimweg. Sie hat zwei Wege zur Auswahl – einen kürzeren durch den Park, auf dem eine Gruppe junger Männer in Lederjacken steht, und einen längeren um den Park herum. Würde sie sich für den kurzen Weg entscheiden? Vermutlich nicht. Würde sie genauso zögern, wenn sie im Park eine Gruppe Schach spielender Senioren sieht? Wahrscheinlich eher nicht. Dieses Beispiel zeigt, wie selbstverständlich wir Stereotype im Alltag nutzen – sie helfen bei der Einschätzung von Situationen, können aber auch zu pauschalen Urteilen führen.
Benachteiligungen in der Arbeitswelt
Doch zurück zur Berufswelt: Melanie Steffens und Claudia Niedlich untersuchen, ob und wie Diskriminierung im Arbeitsleben stattfindet: „Ob Menschen in einem Bewerbungsverfahren benachteiligt werden, aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Ethnie oder ihrer sexuellen Orientierung“, skizziert Claudia Niedlich. Den rechtlichen Rahmen bildet das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (kurz: AGG). Es wurde eingeführt, um Diskriminierung im Arbeitsleben zu verringern oder zu beseitigen. Das Gesetz verbietet Benachteiligung wegen ethnischer Herkunft, Geschlecht, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter oder sexueller Identität. Betroffene können ihr Recht einklagen. „Doch das Gesetz allein reicht nicht aus, um Stereotype und Vorurteile in den Köpfen aufzulösen“, sagt Claudia Niedlich.
Eyetracking beim Auswahlverfahren
Um besser zu verstehen, wie Diskriminierung reduziert werden kann, hat die Arbeitsgruppe in einem Projekt, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wurde, Eyetracking eingesetzt. Probandinnen und Probanden trugen dabei im Zentrallabor der Psychologie in Landau spezielle Brillen, mit deren Hilfe nachverfolgt werden konnte, worauf sie beim Lesen achteten. Die Studienteilnehmenden sollten Entscheidungen in einem fiktiven Bewerbungsverfahren treffen. Die Bewerberinnen und Bewerber in diesem Verfahren waren entweder lesbisch, schwul oder heterosexuell. Zusätzlich bewarben sie sich entweder auf einen als typisch männlich oder einen als typisch weiblich geltenden Beruf.
Die Forschenden stellten fest: Bewirbt sich ein heterosexueller Mann auf die Stelle eines Piloten, so wurde die Bewerbung nur kurz angeschaut. „Die Probandin oder der Proband denkt wohl, na, das kann der sicherlich“, erklärt Claudia Niedlich. Bewarb sich jedoch ein schwuler Mann auf dieselbe Piloten-Stelle, so wurde seine Bewerbung wesentlich genauer betrachtet – seine Qualifikationen wurden intensiver geprüft. „Letztendlich wurde der schwule Mann auf diese Weise also benachteiligt. Er wurde infolgedessen häufiger – trotz gleicher Qualifikation – als ungeeignet angesehen.“
Vorurteile werden mitunter versteckt
Zeigen alle Menschen ihre Vorurteile offen – oder bemühen sich manche, sie zu verbergen? In Studien bemühen sich tatsächlich viele Probandinnen und Probanden, fair zu erscheinen, berichten Niedlich und Steffens. Diese Hemmung sei aber geringer, wenn es darum geht, virtuelle Personen zu beurteilen. In einer Forschungsarbeit in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) wurden virtuelle Personen auf einem Bildschirm kreiert, die an einem fiktiven Bewerbungsverfahren teilnahmen. Eine wichtige Frage war dabei das angebotene Gehalt. Das Ergebnis: Gegenüber virtuellen Personen zeigt man eher Diskriminierung – versteckt mutmaßlich diskriminierendes Verhalten weniger. So wurde im Untersuchungsbeispiel heterosexuellen Frauen und Schwulen – im Vergleich zu heterosexuellen Männern und Lesben – eher ein niedrigeres Gehalt angeboten.
Mut zeigen – Diskriminierung ansprechen
Wie geht die Forschung in diesem Bereich weiter? Ein weiterer Punkt, der in der Arbeitsgruppe aktuell in einem DFG-Projekt erforscht wird, beinhaltet die Frage, ob Sexismus als Form der Diskriminierung als weniger gravierend empfunden wird als Rassismus und andere Diskriminierungsformen. Und wie lässt sich Diskriminierung im eigenen Handeln vermeiden? Ehrlich zu sich selbst zu sein und eigene Stereotype zu hinterfragen, sei ein erster Schritt, betonen Steffens und Niedlich. Wird man Zeugin oder Zeuge von Diskriminierung – oder ist selbst betroffen – dann sei es wichtig, Mut zu zeigen und das Verhalten offen anzusprechen.


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Dann stöbere in den folgenden wissenschaftlichen Publikationen:
Steffens, M. C., & Roth, J. (2017). Diversity-Kompetenz in Bezug auf Gender: Sozialpsychologisches Wissen über Geschlechterstereotype und Geschlechterrollen In P. Genkova & T. Ringeisen (Eds.), Handbuch Diversity-Kompetenz (pp. 273-283). Springer. DOI: 10.1007/978-3-658-08932-0_22-1
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Steffens, M. C., Niedlich, C., & Ehrke, F. (2016). Discrimination at work on the basis of sexual orientation: Subjective experience, experimental evidence, and interventions In T. Köllen (Ed.), Sexual orientation and transgender issues in organizations. Global perspectives on LGBT workforce diversity (pp. 367-388). Springer. DOI: 10.1007/978-3-319-29623-4_22
>> ZUM ARTIKEL
Steffens, M. C., & Ebert, I. D. (2016). Frauen – Männer – Karrieren. Eine sozialpsychologische Perspektive auf Frauen in männlich geprägten Arbeitskontexten. Springer.
